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B.K.S. Iyengar

B.K.S. Iyengar (Photo credit: Wikipedia)

Atmender Gott?

Nachdem ich der Premiere des Dokumentar -Films von Jan Schmidt Garre  in Düsseldorf vor einiger Zeit nicht beiwohnen konnte – die Vorstellungen waren ausverkauft –  habe ich mir den Film als DVD gekauft und in Ruhe zu Hause angeschaut. Heute möchte ich ein paar Eindrücke zu dem Film wiedergeben.

An wen könnte sich der Film richten?

Viele der  etwa 2 Millionen Yoga – Übenden in Deutschland wissen vermutlich so gut wie nichts über die Geschichte und  Philosophie des Yoga. Die  Namen  zeitgenössischer indischer Yogalehrer wie Sivananda, Vivekananda, Kuvailyananda, Iyengar oder Krishnamacharya sind weithin unbekannt. Auch die verschiedenen Yogarichtungen der heutigen Zeit verursachen bei Menschen, die neu zum Yoga kommen, Verwirrung.

Gelegentlich fragte man uns beispielsweise in der Beratung, ob unsere Yoga -Kurse denn „Hatha Yoga“ sind. Was das ist, weiß aber niemand.  Die Vielfalt der Übungsstile innerhalb des Hatha Yoga sind für den Laien böhmische Dörfer.  Kürzlich hatte ich ein Gespräch mit einer Dame, die seit einem Jahr in einer Yogalehrerausbildung  war. Auf die Frage, welche Art von Yoga sie machen würde, war die Antwort: „Ich nehme an, es ist Hatha Yoga, denn wir praktizieren keine Seitwärtsbeugen“ (!) .

Das Ziel des Yoga und verschiedene Wege zu diesem Ziel, wie Hatha-, Raja-, Jnana-, Karma- oder Bhakti – Yoga kennen nur wenige Experten. Es gibt auch Anhänger von Yogarichtungen, die nach den jeweiligen indischen  Lehrern benannt sind, wie Iyengar-Yoga oder  Sivananda – Yoga. Daneben finden wir die „modernen“ Yoga- Importe aus den USA wie Power Yoga,  vor allem im Fitnessbereich. Populär sind in dieser Kategorie Yoga Stars, vornehmlich aus der kalifornischen Scene, mit klingenden amerikanischen Namen. Kürzlich schrieb eine Berliner Yogaschule in einer Werbemail : „Yogastars aus dem amerikanischen Yogahimmel in meinem Studio zu Gast“ . Mancher aus diesem Bereich  mag schon mal etwas vom Ashtanga Vinyasa Yoga als Ursprung des Power Yoga gehört haben; viele werden das nicht sein. Yogalehrer haben sich möglicherweise mit der Philosophie und den Hintergründen  des Yoga befasst  wie mit den Lehrern, die in den vergangenen 100 Jahren Yoga in den Westen gebracht haben.

Alle diese Gruppen mögen an einem solchen Film über die Hintergründe des modernen Yoga interessiert sein.

Für Menschen wie mich, die sich schon lange mit Yoga, seiner Geschichte und Philosophie befassen und die nicht die Gelegenheit hatten, selber nach Indien zu fahren, ist eine filmische Dokumentation zu den zeitgenössischen Ursprüngen des Yoga  in jedem Fall hochinteressant. So war ich entsprechend gespannt, zu meinen textlichen Studium  und dem Wissen um die häufig mit Ehrfurcht ausgesprochenen Namen der Personen nun auch Bilder zu bekommen.

Aus dem Titel des Filmes spricht eine poetische Verheißung.

„Der atmende Gott“  – könnte dies auf die Menschen zutreffen, wie B.K.S Iyengar, Krishnamacharya oder P. Jois?  Vermenschlicht er Gott oder vergöttlicht er den Menschen? Ist das nicht genau die gefühlte Sphäre des Yoga? Die Verbindung, Yoga, zwischen dem Individuum und dem Absoluten? Und führt uns der Film zu einem Menschen, der dies realisiert hat? Ein atmender Gott? Der Titel legt nahe, das es sich bei den zeitgenössischen Quellen des Yoga um Menschen handelt, die sich in Ihrem Bewußtsein bereits „vergöttlicht“ haben könnten. Denn ein Gott atmet üblicherweise nicht.

In dem Film werden tatsächlich Bilder zu dem geliefert, was ich schon aus Büchern wusste. Aus Worten werden Schauplätze und aus Namen werden Menschen. Krishnamacharya hat in den 40-iger Jahren des 20. Jhdts in Mysore für den dortigen Maharaja gearbeitet. Wir sehen einen großen, wunderschönen Palast und in alten Aufnahmen die Familie des Maharajas und seine Entourage, die  sich unterm Sonnenschirm  extrem athletisches Yoga von Krishnamacharyas  Schülern unter dessen strengen Augen vorführen lässt. Hier wird auch ein wenig von der feudalen Herrschaftsstruktur dieser Zeit sichtbar.

Krishnamacharya war zunächst als Brahmane ein angestellter Lehrer für indische Philosophie in den Schulen des Maharajas gewesen. Er verfügte über Kenntnisse des Yoga und erregte damit die Aufmerksamkeit des Monarchen.  Die Yogaschule am Palast wurde sodann auf Wunsch des Maharajas für die männlichen Angehörigen seiner Kaste  zur Leibesertüchtigung eingerichtet und Krishnamacharya mit dieser Aufgabe betraut.  Das athletische Yoga, welches wir später im Ashtanga Yoga wiederfinden, diente, wie wir erfahren, vornehmlich der körperlichen  Erziehung für den Krieg. In den  Wirren der endenden Kolonialzeit bereiteten sich die jungen Männer dieser Kaste auf mögliche Auseinandersetzungen mit den Briten vor. Das Yogatraining war demzufolge sehr körperlich und an die Wünsche des  Auftraggebers als „Zielgruppe“ angepasst. In diesem Kontext wurde, so habe ich das jedenfalls verstanden, das „Vinyasa Krama“ Prinzip und das spätere Ashtanga Vinyasa Yoga entwickelt. Ob dieses von Krishnamacharya ersonnene Übungssystem tatsächlich auf uralten Palmblättern überliefert wurde oder ob dies nur eine Geschichte zur Legitimation der vorgenommenen kriegerischen Modifikationen des Yoga darstellte, kann nicht überprüft werden. Die Palmblätter wurden von Ameisen gefressen, so dass nur die Legende bleibt. Jedenfalls erklärt die Zielstellung des Auftraggebers, warum die Anlehnung des Ashtanga Vinyasa Yoga an die Yogaphilosophie eigentlich nur dem Namen nach existiert. Denn zweifellos steht der Fitness  Aspekt und die akrobatische Körperbeherrschung mehr im Zentrum dieses Systems als die geistigen Ziele des Yoga, wie sie Patanjali in den Yoga Sutra beschreibt.

Die wirtschaftliche Abhängigkeitt  Krishnamacharyas vom Maharaja als Arbeitgeber war total und wurde umso deutlicher, als die Schule später geschlossen wurde. Die Familie lebte danach gezwungenermaßen über Jahre in  bitterer Armut und  musste sich vom Verkauf einiger Früchte aus dem Garten ernähren. Später wurde der Yogaunterricht gegen Entgelt in einer kleinen Wohnung mit maximal 1 – 2 Personen fortgesetzt, da Krishnamacharya hierfürvon wohlhabenden Indern auch zu therapeutischen Zwecken gebucht wurde . Die räumlichen Verhältnisse  ließen auch gar nichts anderes als Einzelunterricht zu. Es handelte sich also scheinbar weniger um eine bewusste Entscheidung als um veränderte und  aus der Not geborene Umstände. Möglicherweise sehen wir in Krishnamacharya  schon seit der Zeit beim Maharaja einen  Prototyp des modernen Yogalehrers,  der gegen Entgelt Yoga zunächst an Gruppen und später an Einzelpersonen unterrichtete. Yoga diente dem Broterwerb und nicht in erster Linie der Erleuchtung. Die Legende, wonach Krishnamacharya sich bewusst gegen eine Karriere als Lehrer und für das damals sehr unpopuläre Yoga  entschied, wird von dem Film nicht ganz bestätigt. Es ist durchaus nicht klar, dass Krishnamacharya als Lehrer hätte weiterarbeiten können, denn das Feudalsystem bot keine Anstellung mehr. Er wurde also erst einmal arbeitslos. Yoga war in Indien total „out“. Den Kindern die Tätigkeit des Vaters so peinlich, dass sie in der Schule etwas anderes über ihn erzählten.

Ein damaliger Schüler berichtete, das ihm immer von Krishnamacharya immer nur einzelne Übungen beigebracht worden wären. Erst wenn er diese beherrschte, ging es weiter. Aus meiner Sicht ist das eine sehr seltsame Art des Yogaunterrichtes mit einer sehr reduzierten Perspektive auf einzelne Asanas.

In dem Film erinnert sich B.K.S. Iyengar an seine Erfahrung als Schüler Krishnamacharyas.  Die Schilderungen sind drastisch. Schon früher ist mir aufgefallen, dass Iyengar sich in fast jeder öffentlichen Äusserung über Krishnamacharya beklagt, aber niemand reagiert darauf. Wie er auch auf der ersten Seite seines Buches “ Licht fürs Leben“ mitteilt, hat  sein Guru ihm nämlich absolut nichts beigebracht, nicht einmal die Asanas. „Tatsache ist, dass mein Guru sich weigerte, mir irgendeine meiner unschuldigen Fragen zum Yoga zu beantworten“. (B.K.S Iyengar, Licht fürs Leben, O.W.Barth, 2005, Seite 1) . Er scheint bis heute zutiefst verletzt über die Behandlung zu sein, die ihm in seiner Jugend widerfahren ist.  Er wurde häufig geschlagen und musste sich in kurzen gesetzten Fristen die von Krishnamachaya verlangten Übungen für die Yoga – Vorturnereien  selber beibringen, egal wie. Viele Schüler  hatten Angst vor diesem Regime und liefen schließlich weg. Krishnamacharyas Hand war laut Iyengar so hart, dass er oft Tage brauchte, sich von den Schlägen zu erholen. Er als Schwager wurde besonders hart angefasst, da er nicht weglaufen konnte wie die anderen. Beim zwangsweisen „Erlernen“ des Spagats hat er sich dann sogar so verletzt, das er 2 Jahre an Folgen zu leiden hatte. Auch hierüber ist die Bitterkeit spürbar.

All dies passt weder mit der Yogaphilosophie zusammen, etwa ahimsa, noch der vielfach beschworenen Achtsamkeit. Unter heutigen Massstäben sind diese Misshandlungen sogar kriminell. Es ist typisch für die unkritischer Herangehensweise der westlichen Devotees, das niemand den augenfälligen Kontrast zwischen den romantischen Ansprüchen an liebevolle Beziehungen und diesem brutalen Regime thematisiert.

So ist es also eigentlich eher eine Beschönigung, wenn  B.K.S. Iyengar als „Schüler“ von Krishnamacharya bezeichnet wird. Früher hatte ich diese falsche Vorstellung, Iyengar habe bei Krishnamacharya gelernt und dieses System dann weiter entwickelt. Das ist nicht der Fall.

Auch später, als Iyengar nach Pune gegangen war, hatte er nicht nur keinerlei Unterstützung,  sondern war über viele Jahre absoluter  Autodidakt.  Er hatte keine  Anbindung an einen Lehrer, sondern brachte sich alles selber bei. Iyengar Yoga ist demzufolge von Iyengar selbst, intuitiv und aus eigener Praxis  entwickeltes Yoga. Von der Yogaphilosophie hatte er lange Zeit, über Jahrzehnte gar keine Ahnung. Iyengar ist Praktiker, und immer kämpfte er um die geforderte akrobatische Beweglichkeit, die eigentlich nicht seinen körperlichen Möglichkeiten entsprach.

Ich nehme an, das hieraus einige Eigenarten des Iyengar Yoga resultieren, wie die weitgehende Reduktion der Praxis auf Asanas, das Fehlen von Meditation, die Art der Ausführung der Asanas und einige andere Dinge, die nicht den traditionellen Vorschriften und Zielen zu entsprechen scheinen.

In nahezu allen öffentlichen Äußerungen stellt Iyengar die schlechte Behandlung heraus, ohne das dies scheinbar bisher irgendjemanden zu kritischen Fragen über Anspruch und Wirklichkeit veranlasst hat.

Von Krishnamacharya gelernt hat er nun nicht den Yoga, sondern vor allem die Marketingtechnik der  artistischen Vorführungen, die sein wichtigstes Mittel für die Verbreitung des Yoga wurde. Iyengar  hatte schon in Mysore an den Vorführungen für den Maharaja und andere Interessenten teilgenommen, um diese und andere Sponsoren vom Sinn des Yoga zu überzeugen. Die Faszination für Yoga hat er dann später  auch durch ebensolche artistische Vorführungen geweckt, besonders auch bei seinen Reisen nach Europa  mit J. Menuhin. Um das Interesse des Publikums zu steigern, wurden die Haltungen immer noch etwas gewagter. Mir scheint es, das auch der exzessive Einsatz von Hilfsmitteln vor allem dazu diente, sich in Haltungen zu zwingen, die anders nicht realisierbar gewesen wären. Möglich machen, was eigentlich nicht geht, das war der Ansatz und die Forderung seines Herren Krishnamacharya gewesen.  Die Artistik  sicherte Aufmerksamkeit, Beifall und stimulierte die Nachfrage. Er schreibt dazu an anderer Stelle, dass sein „inneres Yoga“ und das nach „aussen dargestellte Yoga“ zu Verkaufszwecken bei ihm nicht das Gleiche gewesen seien. Auch das hat mit Yoga nicht allzuviel zu tun. Eine Aussendarstellung zu Vermarktungszwecken ohne Authenzität….das ist Zirkus im Stil der Fakire des 19. Jahrhunderts, und so sehen manche im Internet zu bewundernde Vorführungen auch aus. „Wir waren jung und brauchten das Geld“ drückt in etwa das Gleiche aus.

Tirumalai Krishnamacharya: The Mysore school.

Tirumalai Krishnamacharya: The Mysore school. (Photo credit: Wikipedia)

Neben der Gewalt im Umgang mit Schülern  entspricht dieses gesamte Verhalten durchaus  nicht den Idealen des Yoga. Die Zurschaustellung einer nach außen gerichteten Artistik  wird vor allem  Erwartungen wecken, die sich auch an solchen Äußerlichkeiten orientieren.

Iyengar betont übrigens selbst in dem Film, daß  Ashtanga Vinyasa Yoga,  entwickelt von Krishnamacharya, später popularisiert über P. Jois,  im Gegensatz zu „seinem Yoga“  nicht ganzheitlich sei. Ganzheitlichkeit resultiere  aus dem Umstand, die Asanas sehr lange zu halten, wie er es mache. Nur so könne  der Adept im Asana schließlich eins mit Gott werden. Dieses stellt eine  recht deutliche Kritik und sogar Ablehnung  des Ashtanga Vinyasa Yoga dar.  Ein tolerantes Nebeneinander verschiedener, auf den gleichen Lehrer zurückgehenden Yogastile,  ist nicht erkennbar. Warum wohl dieser Seitenhieb in den Film aufgenommen wurde? Es scheint,   das der Regisseur gar nicht erkennt, was für einen Eindruck er damit weckt. Ich teile zwar diese Einschätzung, und die Zweckbestimmung des Ashtanga Yoga als Fitnesstraing gibt dem recht. Auch Iyengar Yoga hat jedoch mit der weitgehenden Reduktion auf Asanas und dem Fehlen der Meditation Einseitigkeiten aufzuweisen, die dem Anspruch der Ganzheitlichkeit und der Konvergenz mit dem Yoga Sutra zuwiderlaufen. Da sowohl P. Jois als auch Iyengar ehr recht theorielose Praktiker gewesen zu sein scheinen, verwundert das nicht.

Pathabi Jois seinerseits erinnert sich  kaum noch an die frühe Zeit in Mysore.  Als es auf die spätere Popularität Krishnamacharyas  in den USA zu sprechen kommt, erwähnt er, das eigentlich doch er es war, der Ashtanga Vinyasa Yoga und damit Krishnamacharya in den Staaten bekannt gemacht hat und das  Krishnamacharya seine enorme Popularität in den Staaten demzufolge ihm verdanken würde. Letztlich will er sagen, stehe ihm dies zu.

Wie auch die Äußerung von B.K.S Iyengar zeugen diese Bemerkungen nicht von gereiften spirituellen Persönlichkeiten, die ihr Ego unter Kontrolle gebracht haben. Da ist viel Stolz und Eitelkeit vorhanden und spürbar. Die Beziehungen zwischen den Protagonisten des Yoga wirken alles in allem eher kalt, eifersüchtig, neidisch  und  abgrenzend.

Nahezu an allen Schauplätzen ist es übrigens entsetzlich laut. Ohrenbetäubender Strassenlärm überall. Man sieht, das die meisten Inder  ganz andere Sorgen in ihrem Alltag haben, als sich mit Yoga zu befassen.

Wir beobachten P. Jois und B.K.S Iyengar beim Unterrichten. P. Jois leitet in kurzen Worten die Asana-Praxis für den  Filmemacher an. Als dieser in eine für ihn ganz unmögliche Haltung gehen soll, wird mit etwas überheblichem, wenn auchg verständnisvollem Tonfall   gelacht mit der für Yogalehrer  schon stereotypen Bemerkung, dass sich der Erfolg durch Üben schon einstellen werde.Tatsächlich ist es mehr als fraglich, ob diese Übungen für den recht steifen und nicht mehr ganz jugendlichen Regisseur überhaupt passend sind.

Im Iyengar Shala geht es zu wie in einer Turnhalle oder eine Ballettschule. Viele Menschen praktizieren nebeneinander ihre individuelle Körperertüchtigung und Dehnungsübungen und nutzen dazu alle möglichen Hilfsmittel. Iyengar demonstriert den Unterricht an einer jungen Frau, einmal in der Dreieckstellung und dann im Handstand. Das Dreieck der jungen Frau sei kein Dreieck, sondern ein Dom. Der Körper der Frau weist leider verschiedene Unebenheiten und Dellen auf. Nach der Auffassungen von Iyengar müssen diese beseitigt werden. Dies kann man auch in Frage stellen, denn sie stehen einer spirituellen Entwicklung sicher nicht im Weg. Nach einigen Korrekturen  sehen wir gewisse Verbesserungen der Haltungen der Frau, der Körper ist gestreckter, aber die meisten Dellen und Erhebungen sind  geblieben. Iyengar jedoch ist mit sich und ihr zufrieden, da es jetzt, nach seinen Korrekturen, ein richtiges Dreieck sei. Auch im Handstand werden einige Korrekturen vorgenommen. Die rethorische Frage an die Probandin, ob es nun besser sei, wird von der Schülerin natürlich mit „Ja“ beantwortet. Iyengar  weist darauf hin, das die allermeisten Übenden eben weder einen richtigen Handstand noch ein richtiges Dreieck machen. Auch diese Bemerkung wirkt selbstgefällig und überheblich. Kommt die spirituelle Entwicklung aus den Mikrokorrekturen von Körperhaltungen?

Was lernen wir in dem Film über Yoga?

Wir sehen  die athletischen  Vorführungen im Palast von Mysore und an anderen Orten, die Ashtanga Sonnengüße und die Yoga – Gymnastik im Iyengar Shala. Yoga wird in diesem Film wesentlich dargestellt als theorie- und philosophielose Praxis von artistischen Asanas und  Yoga wird fast völlig mit Asana – Praxis  gleichgesetzt. Die über den rein körperlichen Aspekt hinausgehenden Aussagen sind mehr als  spärlich. Iyengar schildert letzlich einen Ansatz, wonach die durch intensives Hatha Yoga erreichte Durchgeistigung und energetische Belebung des Körpers bis in die letzte Zelle hinein zu einer Bewusstseinserweiterung führe und zu der Erfahrung des Einsseins. Dies ist aber nicht einmal das Konzept des Hatha Yoga. Der Ansatz scheint dem Tantra nahe zustehen,  der Prana letzlich als eine Art kosmisches Bewusstsein auffasst. Man könnte zusammenfassen: „Durch intensive Asana- Praxis zur Erleuchtung“ was denn auch die „Physiokratie“  des Iyengar Yoga erklärt. Die schon ins hohe Alter gekommenen Töchter Krishnamacharyas informieren uns immerhin, dass „Atem und Bewegung“ zusammen gehörten und dass Yoga auch vor allem „Konzentration“ sei, sonst wäre es nur Gymnastik. Diese  „Yoga ist besser als Gymnastik“ – Phrase haben wir schon so oft gehört, dass es fast die abgedroschenste aller Yogaphrasen ist. Ähnlich, wenn es um den Atem geht. So hören wir, dass nur dann richtiges Yoga gegeben sei, wenn die Atmung hinzugenommen würde. Dies war bei den Meistern allerdings selber lange Zeit gar nicht üblich, so dass sie selber lange kein Yoga geübt haben dürften. Die Integration von Pranayama in die Asanapraxis ist ein Thema, was hier nicht erörtert werden kann, aber unter Bezugnahme auf das Yoga Sutra gibt es dazu doch eigentlich recht klare Vorstellungen über die Ziele und Methoden des Yoga.

Das ist schon der ganze dünne philosophische Extrakt des Films, letztlich ein paar Yoga Plattheiten.

Bei der reisserisch angekündigten  „Live Saving Yoga Session“ von Krishnamacharya handelt es sich  um eine durch Kriyas und Pranayama angereicherte Variation der Rishikesh Reihe. Einige Übungen wurden weggelassen, anderes hinzugenommen. Leider sind die Übungen wie der Fisch im Lotus, der Kopfstand, Schulterstand und der Pflug  ebenso wie der ganze Lotus für heutige westliche Verhältnisse gänzlich ungeeignet. Es wird nicht gesagt, warum diese Reihe seit dem Tod des Meisters nicht mehr unterrichtet wird. Hat sie sich nicht bewährt? Ist sie zu schwierig? Warum sie dann aber auf diese Weise als „Bonusmaterial“ publiziert wird, erschliesst sich mir nicht, außer als besonderer Marketing Gag.

Im Ganzen muss man den Eindruck gewinnen, dass die westliche, häufig beklagte Rezeption des Yoga als vornehmlich auf Asanas ausgerichtetes, der Körperertüchtigung und auf artistische Körperbeherrschung ausgelegtes System genau hier , bei Krishnamacharya und seinen „Schülern“seinen Ursprung hat.  Beide Richtungen haben keine inhaltliche Kohärenz, was aus der Geschichte auch verständlich wird.

Die gezeigten Übungen  können  allesamt  für modernen Yogaunterricht an normale Menschen in unseren Breitengraden keine Orientierung geben. Ganzheitliche Yogastunden mit der Kombination von Asana, Pranayama, Tiefenentspannung und Meditation  bekommen wir keine zu sehen und hören davon auch nichts.

Bei der Betrachtung des Weges des Yoga in den Westen durch den Regisseur wurden viele andere frühere Wegbereiter wie Sivananda, Vivekananda, Vishnu Devananda oder Kuvailyananda gar nicht erwähnt. Diese vertreten entweder religiöse oder philosophische Yogatraditionen. Der Name Patanjali als Begründer der Yogaphilosophie taucht im ganzen Film nicht einmal auf. Obschon  doch Yoga eines der 5 Systeme der indischen Philosophie ist, scheint Yoga damit absolut nichts zu tun haben. Von einer Verbindung des Hatha mit dem Raja Yoga erfährt man nichts.

Niemand fragt auch kritisch nach, wieso der Guru Krishnamacharya  seine Schüler so brutal misshandelt hat und wie sich das eigentlich  mit der hehren Yogaphilosophie verträgt. Wenn uns heute gerade von Desikachar, dem Sohn Krishnamacharyas, erklärt wird, das Yoga etwas mit der Beziehung zu tun habe, die wir mit unserer Umwelt und den Menschen eingehen, welches Vorbild liefert uns der Film? Ist die Beziehung Krishnamacharyas, geprägt von Gewalt und Gleichgültigkeit und der Ausnutzung junger Menschen etwa ein Vorbild? Sicher nicht.

Krishnamacharya scheint vor allem Brahmane und gläubiger Hindu  gewesen zu sein und hat dies dem westlichen Menschen nicht zumuten wollen.

Sein Yoga wurde über Iyengar und P. Jois populär und es ist in dieser Form zunächst jeder Philosophie und jeder Religiosität entkleidet. Aber was bleibt denn dann? Was wir in dem Film sehen, ist vor allem eine Yoga – Rumgeturne ohne Theorie, Philosophie und Hintergrund.

Vielleicht ist es sympomatisch für die Theoriearmut  des Films, dass der Regisseur selbst seine Leitfrage  nach dem Ursprung der Asanas an diesem „Ursprung des modernen Yoga“ letztlich nicht beantwortet bekommt. Trotz der 90%igen Gleichsetzung von Yoga mit Asanas in diesem Film hat der Regisseur  an der Quelle des Yoga hierüber nichts Neues gelernt. Um seine Frage endlich zu klären, nimmt er  deshalb Zuflucht zum Bild eines hinduistischen Gottes in einem Tempel, in den Krishnamacharya häufig ging. Dies könnte ihm vielleicht ein Sinnbild des Yoga sein. Er sucht diese Antwort für sich.

Es ist vielleicht ein Sinnbild des Filmes, das dieser Tempel von Nicht – Hindus nicht betreten werden darf. Der „atmende Gott“ , der sitzt, meditiert und atmet, ist ein hinduistischer Gott. Er dient dem Film als Titel, weil der Autor in dieser Figur eine Erklärung des Sinns der Asanas sucht, die ihm auf der Suche an der Qelle des modernen Yoga nicht zugefallen war.

Nun werden Asanas in der Yogatradition schon immer als Sitzhaltungen beschrieben, die der Meditation dienen. Trainierende und entspannende Asanas bereiten auf vielfältige Weise die Meditation vor, die zu höchster Erkenntnis führt.

Keiner der Protagonisten hat auch nur annähernd den Eindruck eines atmenden Gottes hinterlassen. Es sind vielmehr ganz normale, um ihre Existenz kämpfende Menschen in einem Land ohne soziale Absicherung mir ganz normalen menschlichen Eigenschaften. Ich schätze Iyengar gerade wegen seiner rückhaltlosen Ehrlichkeit über bittere Armut, Existenzkampf mit Hunger, die harten und kalten Strukturen. Man muss schon sehr blind und taub sein, dies zu überhören. Alle sind nur allzumenschlich, auch in ihrer Eitelkeit.

Der Westen hat sie auf den Thron gehoben, als Zerrbild sehnsuchtsvoller Projektionen.
Wie ungewollt entzieht der Film mit der Struktur eines banalen Familienalbums diesen Projektionen den Boden und präsentiert sie nackt und bloss, was im Grunde auch nur eigenen kommerziellen Interessen dient und wie ein neuerlicher Missbrauch erscheint.

Georg Feuerstein schreibt in seinem Buch „Die Yoga Tradition“ :

„Narzissmus oder körperbezogene Egozentrik ist bei hatha yogins eine ebenso große Gefahr wie bei Bodybuildern…..hatha yogins…enden nun manchmal mit aufgeblasenen Egos anstatt mit transzendierten. Das brachte manche Gelehrte dazu, Hatha Yoga als eine dekadente Lehre zu bewerten“.

Yoga im Westen erscheint heute in vieler Beziehung eine  Fehlentwicklung in genau diesem Sinne zu sein.

Es ist nicht ganz von der Hand zu weisen, das der Keim dieser Fehlentwicklung in Indien selber liegt.  Die Protagonisten des Yoga erscheinen  bei realistischer Betrachtung  als eine gigantische Projektionsfläche westlicher Sehnsüchte, die sich unter dem hier sicher naiven und unbeabsichtigten Blick auf die Realität als reine Fata Morgana herausstellt.

Der Ursprung des modernen Yoga wirkt in diesem Film lieblos  und deprimierend.

Genau genommen müsste der Film  heißen: „Der prügelnde Yoga Guru“.

Es gehört zu den Merkwürdigkeiten dieser Welt, das Iyengar sich fast unentwegt über die erlittenen Mißhandlungen beklagt, aber niemand ihm zuhört. Es ist auch bekannt, das er selber schon einmal schlägt. Dafür finden sich dann viele Rechtfertigungen. Ich aber möchte nicht geschlagen werden und in meinem Unterricht ist man auch sicher vor Mißhandlungen.

Der Film ist als Einblick in die indische Realität und die Schauplätze interessant. Dies führt im Ganzen jedoch  zu einer Ernüchterung etwa so, als würde man nach einer Party plötzlich die Neonbeleuchtung anmachen. Dieser Film ist keine Hommage an den Yoga. Was er uns sagt – ich weiß es nicht. Er zeig, das es sich um Menschen und nicht um Götter handelt, die in einen soziokulturellen Kontext eingebunden sind.

Es bleibt nach dem Film  ein komisches, ein unangenehmes Gefühl zurück. Der Film zeigt, das es absolut erforderlich ist,  Anspruch und Wirklichkeit zu unterscheiden und die Dinge im Yoga kritischer zu sehen.  Die Protagonisten zeigen sich sehr – um nicht zu sagen – allzu menschlich und privat. Für die westlichen Projektionen bleibt einfach gar kein Platz. Sie entlarven sich vielleicht sogar als eine Art von Mißbrauch, wenn die die Impulsgeber des Yoga in Indien gottgleich überhöht werden, wie dies allzu üblich ist.

Absurd ist es, die voyeuristische Banalität dieses Films und die Nacktheit der Präsentation der Protagonisten nicht zu erkennen. Dieser Film ist nicht, wie er in der Yogascene nun teilweise als Werbemittel angepriesen und vermarktet wird, wunderschön. Wie blind kann man sein?
Er ist eher traurig.

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